Auf den ersten Blick wirkt dieses rund 1.000 Seiten starke, von Fußnoten, Diagrammen und Fachbegriffen durchsetztes Dokument abschreckend. Aber vielleicht soll der Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Hamburger Cum-Ex-Affäre, kurz: des PUA Cum-Ex, im Wesentlichen verfasst von den rot-grünen Regierungsfraktionen, so auch wirken: Liebe Leserinnen und Leser, Finger weg, dies ist zu kompliziert für dich!

Wer sich nicht abschrecken lässt, wer Abkürzungen findet und Sackgassen vermeidet, kann Anregendes, Erhellendes, Empörendes, Lachhaftes und wirklich Witziges in dem Dokument entdecken, das unter der Nummer 22/14500 in der Hamburger Parlamentsdatenbank aufzufinden ist. Ein erster Tipp für Eilige: Wenigstens die Pointe auf Seite 846 sollte man sich nicht entgehen lassen.

Dort steht, “dass der Zwischenbericht in hoch sorgfältiger Weise, unter Zusammenstellung der wesentlichen Sachverhaltselemente, einer korrekten und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung des gesamten Ergebnisses der umfangreichen Beweisaufnahme und unter rechtsfehlerfreier Einbeziehung der gesetzlichen Bestimmungen eine in jeder Hinsicht überzeugende und zutreffende Sachverhaltsdarstellung dokumentiert” und in der Einordnung der Vorgänge durch die Hamburger Senatsfraktionen “eine zutreffende, schlüssige, präzise und unwiderlegbare Bewertung vermittelt”. Dies schreibt, mit Datum vom 12. Dezember des vergangenen Jahres, der Anwalt Otmar Kury über den damals bereits als Entwurf vorliegenden Bericht – und zwar “im Namen meines Auftraggebers, des Betroffenen, Herrn Warburg”.

Ein führender Vertreter der Warburg-Bank ist mit der Darstellung des Sachverhalts rundum einverstanden

Warburg wie Warburg-Bank. Max Warburg war bis 2019 Stellvertreter des Bankiers Christian Olearius im Aufsichtsratsvorsitz des dubiosen Hamburger Geldhauses. Inzwischen steht Olearius wegen dessen krimineller Steuergeschäfte vor Gericht. Durch seine geheimen Gespräche über diese Geschäfte in den Jahren 2016 und 2017 mit dem damaligen Ersten Bürgermeister und heutigen SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz, an denen bei einer Gelegenheit auch Warburg teilnahm, hat er die Hamburger Cum-Ex-Affäre ausgelöst. So viel lässt sich also schon nach Lektüre einer einzigen Seite sagen: Zumindest ein führender Vertreter des Bankhauses Warburg ist mit der Behandlung dieser Angelegenheit durch die rot-grüne Ausschussmehrheit rundum einverstanden.

Worum ging es doch gleich? In gut drei Jahren und mittlerweile 51 Sitzungen des PUA ist der Kern der Affäre unter so vielen Details begraben worden, dass es lohnt, ihn in Erinnerung zu rufen: Ein wohlhabender und einflussreicher Bürger der Stadt hat sich mit dem Ersten Bürgermeister getroffen, um Unterstützung in einer Steuersache zu bekommen, die damals bereits anrüchig war und sich mittlerweile als kriminell erwiesen hat. Um vorgelassen zu werden, hat er wichtige Parteifreunde des Bürgermeisters bezahlt, damit sie sich für ihn verwenden. Wenig später hat die Finanzverwaltung ihre Sichtweise in der fraglichen Steuersache geändert, als sei es ihr angeordnet worden, und gegenüber dem Petenten eine deutlich nachsichtigere und im Rückblick falsche Haltung eingenommen. So fragwürdig ist die damalige Entscheidung der Hamburger Finanzverwaltung aus heutiger Sicht, dass die Kölner Staatsanwaltschaft seit Jahren gegen eine der beteiligten Beamtinnen ermittelt.

Umstritten ist schon die Art, wie der Bericht zustande gekommen ist

Dass es allen Mitgliedern des Ausschusses, der diesen Sachverhalt noch immer untersucht, um Aufklärung zu tun ist, kann man inzwischen ausschließen – zu weit gehen die Folgerungen auseinander, die Regierungsfraktionen einerseits und Oppositionsvertreter andererseits aus denselben Zeugenaussagen und Dokumenten ziehen. Viel spricht dafür, dass die Finanzverwaltung damals angewiesen worden ist, das Finanzhaus Warburg schonend zu behandeln, aber beweisen lässt es sich nicht. Das ist im Wesentlichen das Fazit der Untersuchung, es ist seit Langem bekannt – lohnt es dennoch, sich in den umfangreichen Bericht zu vertiefen?

Schon die Art seines Zustandekommens ist umstritten. Die CDU argwöhnt, die rot-grüne Ausschussmehrheit wolle sich darum drücken, alle Erkenntnisse des PUA in einen Abschlussbericht zu schreiben – insbesondere die bislang nicht ausgewerteten Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft könnten ja das Bild der Affäre ergänzen und womöglich korrigieren. Das Regierungslager habe daher die Fertigstellung des schon 2022 in Auftrag gegebenen Zwischenberichts bis Anfang 2024 verzögert, sodass die Zeit in den verbleibenden zwölf Monaten der Legislatur für einen weiteren Bericht nicht reichen werde und ein veralteter Zwischenstand dann wie ein Endergebnis aussehe. Umgekehrt liegt die Vermutung nahe, dass den Christdemokraten die Fertigstellung eines echten, möglichst um brisante Details ergänzten Abschlussberichts im kommenden Bürgerschaftswahlkampf gelegen käme und sie die Untersuchung darum gerne noch etwas ausdehnen würden.

Am Ende bleibt ein harter Kern von Fakten, versteckt in zahllosen Details

Wer das Tausend-Seiten-Dokument öffnet, muss sich klarmachen, dass alle Verfasser und viele Zeugen, auf die sie sich berufen, jeweils eigene Ziele verfolgen. Die Parteiinteressen von Regierung und Opposition sind offensichtlich. Hinzukommt, dass einige der befragten Finanzbeamtinnen und -beamten im Umgang mit dem Cum-Ex-Fall Warburg eine fragwürdige Rolle gespielt haben, einige haben sich möglicherweise strafbar gemacht. Aber das ist die normale Konfliktlage in Untersuchungsausschüssen. Und sie kann ja auch der Aufklärung dienen: Was eine Seite nicht zur Kenntnis nehmen oder verharmlosen möchte, das arbeitet die andere desto schonungsloser heraus. Am Ende bleibt, versteckt in zahllosen Details, ein harter Kern von Fakten. 

Wie kann man ihn rekonstruieren? Hier sind zwei Lektürevorschläge: ein politischer und ein kriminalistischer.



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