Glückwünsche trafen am Freitagabend aus ganz Europa ein. Aus Marseille meldete sich Amine Harit, aus Bergamo Sead Kolasinac, aus Braga Rodrigo Salazar, aus Mainz Tom Krauß – lauter prominente Profis, die einst mit Schalke 04 erster Klasse in der Liga und der Champions League unterwegs gewesen waren, und die nun in den sozialen Medien Freude und Erleichterung darüber anzeigten, dass sich ihr ehemaliger Klub zumindest einen Schritt vom Abgrund in die dritte Liga distanzieren konnte.
Ein Leben lang in Königsblau, das ist nicht nur ein Slogan der Schalker Marketingabteilung, sondern für die Betroffenen – Ex-Profis inbegriffen – wahrhaftig eine Lebenssache, wie 61 497 Augenzeugen in Gelsenkirchen demonstrierten. Wegen des Streiks im öffentlichen Nahverkehr hatte der Verein Busse gechartert, die die Fans ans Stadion brachten, und Fahrradständer in den Niederlanden für zusätzlichen Zweiradverkehr besorgt. Aber diejenigen, die mühsam und mit Angsterwartungen zum Duell des zuletzt scheinbar grundlegend desolaten Tabellen-14. gegen den erst ein einziges Mal besiegten Tabellenführer erschienen, wurden reicher belohnt, als es Elon Musk und Jeff Bezos jemals werden können.
Der 3:1-Sieg gegen den FC St. Pauli verschaffte den Schalkern die üblichen bipolaren Gefühlsschwankungen: Nachdem am Wochenende zuvor (0:3 in Magdeburg) alle davon überzeugt waren, am Tiefpunkt der Tiefpunkte zu stehen, wähnte sich die königsblaue Gemeinde jetzt im Zustand vollkommenen Glücks. Tatsächlich kamen auch am Freitagabend die Gegensätze zusammen: Schalke brachte das bei Weitem beste Spiel der Saison zustande, der Hamburger Gast das mutmaßlich schlechteste. St. Paulis Fabian Hürzeler besaß die Größe, seinem Kollegen zum Punktsieg im Trainerduell zu gratulieren: “Ich glaub’, dass du uns einfach überrascht hast”, sagte er – nicht im Zwiegespräch mit Karel Geraerts, sondern in aller Offenheit auf der Pressekonferenz. Schalkes resolut vorwärts verteidigende Spielweise “haben wir nicht erwartet”, gab Hürzeler zu. Man habe den strukturiert kombinierenden Paulianern “ein wildes Spiel” aufdrängen wollen, berichtete Schalkes Kapitän Simon Terodde, und die Taktik des Trainerstabs erwies sich als ebenso richtig wie der Wechsel der halben Mannschaft: Fünf Mann raus, fünf Neue rein, der Doppeltorschütze Yussuf Kabadayi, 20, Leihgabe des FC Bayern, kam geradewegs von der Tribüne.
Der Sieg folgt nach einer Woche von Krisengesprächen
Deshalb meldete sich spontan auch ein Gratulant, der noch nie für Schalke gespielt hat. Bayer Leverkusens Victor Boniface hat jedoch im Vorjahr auf den Chefcoach Karel Geraerts bei Union Saint-Gilloise in Brüssel gehört. Dort wurde er Belgiens Trainer des Jahres, nun drohte er, der nächste Entlassungsfall von Gelsenkirchen zu werden. Der Aussicht, seine immer noch frisch bezogene Wohnung im Stadtteil Buer gleich wieder aufgeben zu müssen, trat der 42-jährige Belgier furchtlos entgegen. Geraerts setzte auf Offensive und eine Sturmreihe, in der sich Terodde endlich mal nicht verloren vorkommen musste. Prompt war der 36-jährige Mittelstürmer an allen Treffern beteiligt.
Nach einer Woche der Krisengespräche, in der sich laut S04-Profi Ron Schallenberg “einige mal gut die Meinung gegeigt” hatten, darf Geraerts als Gewinner gelten, die schlimmste Panik ist vorerst vertrieben – die Betonung liegt auf dem Wort vorerst.