Ein veröffentlichter Mitschnitt eines internen Gesprächs hochrangiger Offiziere der deutschen Luftwaffe sorgt für Wirbel. Inhalt des internen Gesprächs: Offenbar geht es um technische Details und logistische Vorbereitungen für eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine.

Russland zeigt sich empört und nutzt das Band für seine Propaganda. Was der Spionagevorfall für den Ukraine-Krieg bedeutet und wer dahinter stecken könnte. Die wichtigsten Fragen und die Antworten.

Was ist der Inhalt des abgehörten Gesprächs?

In dem Mitschnitt des Gesprächs sollen der deutsche Luftwaffenchef Ingo Gerhartz und weitere hochrangige Offiziere der Luftwaffe zu hören sein. Es geht um technische Details und Vorbereitungen einer möglichen Taurus-Lieferung an die Ukraine.

Außerdem soll zu hören sein, wie die Soldaten über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Raketen auf der Krim-Brücke diskutieren. Es gehe um Angriffe auf die Krim-Brücke mit Taurus-Marschflugkörpern und eine angebliche direkte Beteiligung Großbritanniens sowie Frankreichs an den Zusammenstößen, die die deutschen Soldaten zugegeben hätten, schrieb Putins Propagandistin Simonjan per Telegram.

Weiter heißt es in der Aufzeichnung, man könne der Ukraine 100 Taurus-Raketen in zwei Lieferungen liefern. Auch die Zahl 200 kursiert.

Außerdem sei besprochen worden, wie man die Erfahrungen Großbritanniens mit den Storm-Shadow-Raketen nutzen könne.

Wo und wann tauchte die Aufnahme auf?

Auslöser ist eine Nachricht der Chefredakteurin des staatlichen Senders RT und bekannten Kreml-Propagandistin Margarita Simonjan auf ihrem Kanal im Kurznachrichtendienst Telegram. Darin behauptet die Propagandistin, sie habe die „interessante“ Aufnahme eines 40-minütigen Gesprächs vom 19. Februar zwischen hochrangigen deutschen Militärs erhalten.

Die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti veröffentlichte schließlich am Freitag einen fünfminütigen Ausschnitt aus der angeblichen Aufzeichnung des Gesprächs.

Ex-Präsident Dmitri Medwedew fordert auf der Plattform X (ehemals Twitter) sogar den „Tod“ der Deutschen. Er schrieb: „Zu dem Telefongespräch zwischen den Offizieren der Bundeswehr über geplante Anschläge gegen unser Land: Unsere historischen Gegner, die Deutschen, haben sich wieder einmal in unsere Erzfeinde verwandelt. Schauen Sie sich nur an, wie gründlich und detailliert die Deutschen über Langstreckenraketenangriffe auf Russlands Territorium diskutieren und Ziele und die praktikabelsten Wege aussuchen, um unserem Vaterland und unserer Bevölkerung zu schaden.“

 

Medwedew schließt seinen Post mit: „Aber eines weiß ich. Der Ruf aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs ist wieder aktuell geworden: TOD DEN FASCHISTEN!“

Ist die Aufnahme echt?

Zunächst war von einer gezielten Propagandaaktion des Kreml ausgegangen worden. Inzwischen hätten mehrere Soldaten bestätigt, dass es sich um authentisches Material handele, berichtet die „Welt“.

Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ berichtet, erste Analysen würden zeigen, dass die Aufnahme echt sei. Eine Generierung durch künstliche Intelligenz gelte als unwahrscheinlich.

Warum konnte Russland das Gespräch so einfach abhören?

Die interne Besprechung mehrerer hochrangiger Luftwaffenoffiziere über eine mögliche Lieferung des Waffensystems Taurus an die Ukraine fand über die Plattform WebEx statt – statt über eine sichere, verschlüsselte Verbindung. WebEx gilt als leicht abhörbar.

Zudem habe sich mindestens einer der Teilnehmer während des Treffens in Singapur aufgehalten und vermutlich sein Handy benutzt, um an dem Treffen teilzunehmen, berichtet der „ Spiegel “.

Angesichts der Sensibilität der besprochenen Inhalte wäre die Verwendung einer verschlüsselten Verbindung angemessen gewesen, zumal die Richtlinien der Bundeswehr für derartige Besprechungen sensibler militärischer Informationen strenge Sicherheitsvorkehrungen vorschreiben.

Wurden Fehler seitens der Offiziere gemacht?

Der ehemalige Oberst und Vorsitzende der Politisch-Militärischen Gesellschaft e.V., Ralph Thiele, bestätigt gegenüber FOCUS online: „Es ist sicherlich nicht vertretbar, derart brisante Themen über öffentliche Netzwerke und Plattformen zu diskutieren. Hier ist ein Kulturwandel nötig.“

Schon Bundeskanzlerin Merkel habe damit Probleme gehabt, sagt der Experte. Auf der anderen Seite sei dies auch ein Spiegel der mangelnden Kommunikationsausstattung wichtiger Entscheidungsträger.

„Einsparungen bei der Bundeswehr (und wichtigen politischen Akteuren) schlagen sich auch in nicht vorhandenen sicheren Kommunikationsmöglichkeiten nieder“, so Thiele weiter. „Wir müssen davon ausgehen, dass zahlreiche Nachrichtendienste deutsche und auch Bundeswehrnetze abhören – übrigens auch deutsche Dienste.“

Für Thiele stellt sich hier die Frage: „Warum haben die nicht rechtzeitig gewarnt?“

Warum veröffentlicht die Kreml-Propaganda das Band jetzt und wer steckt dahinter?

In Deutschland hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem klaren Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine eine Debatte ausgelöst.

Scholz brachte den hiesigen Taurus-Sreit ins Rollen, als er auf der Chefredakteurskonferenz der Deutschen Presse-Agentur sagte, er wolle nicht, dass eine Situation entstehe, in der deutsche Expertise direkt für die Erfassung russischer Ziele genutzt werde. Mit anderen Worten: Eine Zielerfassung mit Taurus durch deutsche Soldaten wird es nicht geben. Außerdem gelte weiterhin: Keine deutschen Soldaten auf ukrainischem Boden.

Für seine jüngsten Aussagen zum Taurus bekam der Kanzler massiven Gegenwind – aus den Reihen der Ampel, der Opposition und von Experten. Seine Position hat auch westliche Partner verärgert. Nur wenige sprangen ihm bei.

Die Veröffentlichung des Bandes könnte nun eine Reaktion auf die derzeitige Debatte sein.

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte im ZDF: „Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden.“

Russland wolle Scholz abschrecken, indem man „öffentlich zeigt, wie tief Russland die deutschen Entscheidungsvorbereitungen dazu bereits aufgeklärt hat“. Kiesewetter vermutete zudem: „Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken von den Wirecard-Enthüllungen und der Beerdigung von Alexej Nawalny.“

Thiele sieht das etwas anders. Gegenüber FOCUS online sagt er: „Grundsätzlich gibt es zwei ´Verdächtige´“, die das Gespräch abgehört und in Umlauf gebracht haben könnten.

Zum einen die westlichen Staaten. Sie könnten ein Interesse daran haben, das vorsichtige Vorgehen von Bundeskanzler Scholz zu untergraben, so der Militärexperte.

Putin wiederum habe ein Interesse daran, das Vertrauen in die Bundesregierung durch Maßnahmen der hybriden Kriegsführung zu untergraben.

„Da in der hybriden Kriegsführung – in der zum Beispiel auch die Briten Meister sind – bevorzugt über Dritte agiert wird, ist zunächst nichts so, wie es scheint.“ Vor einer vorschnellen Bewertung sei größte Vorsicht geboten, meint Thiele.

Wie reagiert Deutschland auf die Spionage-Attacke?

Die Vorwürfe aus Russland haben ein Nachspiel: Nach den Vorwürfen des russischen Propaganda-Senders hat das Bundesverteidigungsministerium eine Untersuchung eingeleitet. Es werde geprüft, ob die Kommunikation der Luftwaffe abgehört worden sei. Das bestätigte das Ministerium der Nachrichtenagentur dpa.

„Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) hat alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet“, teilte eine Sprecherin demnach mit.

Was bedeutet die Spionage-Attacke für den Ukraine-Krieg?

Spionage gilt als Teil der hybriden Kriegsführung. Und Russland könnte das abgehörte Gespräch nun ausnutzen.

„Russland wird versuchen, den westlichen Zusammenhalt zu untergraben und mit hybriden Maßnahmen auch Spannungen in westlichen Staaten zu schüren“, sagt Thiele. Das schwäche nicht nur die einzelnen Staaten, sondern auch deren Zusammenhalt und damit die westliche Unterstützung für die Ukraine.

„Wir stehen vor einer Situation, in der es jetzt darauf ankommt, national und im europäischen und Nato-Verbund zusammenzurücken und unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu professionalisieren“, so der Experte.





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