Nach einer eigentlich vom SC Freiburg gut verteidigten Ecke erobert Mathys Tel den Ball am Strafraumreck mit einem beherzten Zweikampf gegen Vincenzo Grifo zurück, macht eine unnachahmliche Bewegung und zaubert den Ball mit einem wunderbaren Schlenzer ins Eck.

Jamal Musiala bekommt den Ball links am Strafraum. Er hat einen Gegenspieler, er hat zwei, dann sogar drei. Mit dem Spielgerät eng am Fuß tänzelt er durch das Freiburger Trio und zieht aus leicht spitzem Winkel ab. Tor, einfach magisch. 

Zwei Traumtore reichen dem FC Bayern nicht

Zwei Traumtore, zwei grandiose Einzelaktionen. Doch sie reichen dem FC Bayern nicht im Freitagabendspiel beim SC Freiburg. 2:2 heißt es am Ende. Ein Remis, das sich wie der Sargnagel im Meisterrennen gegen Bayer Leverkusen anfühlt. Die Werkself kann am Sonntag mit einem Dreier gegen den Abstiegskandidaten 1. FC Köln auf zehn Punkte Vorsprung davonziehen. 

Nach dem 2:1-Erfolg in der Vorwoche gegen RB Leipzig als Reaktion auf die Sommer-Entlassung von (Noch-)Trainer Thomas Tuchel gab es zuletzt wieder leise Hoffnungstöne aus München. Max Eberl, der am Dienstag als neuer Sportvorstand offiziell in München vorgestellt wurde und in Freiburg quasi seinen ersten offiziellen Arbeitstag hatte, sprach auf seiner Vorstellungs-Pressekonferenz sogar noch von Titelambitionen. „Ich will diese Saison nicht hergeben“, sagte er. Es gehe in den letzten drei Monaten der Spielzeit darum, „vielleicht sogar Titel zu holen“, so Eberl weiter.

Ob er nach diesem enttäuschenden 2:2 gegen zuletzt formschwache Freiburger der näherkommenden Wahrheit nun doch ins Auge blicken mag? Denn auf dem Rasen stand sicherlich keine Meistermannschaft.

„Harakiri“: Tuchel zerlegt seine Bayern

Gerade die erste halbe Stunde war desolat. Nach zwölf Minuten scheiterte zunächst Roland Sallai am sensationell reagierenden Manuel Neuer, im direkten Anschluss dann per Fallrückzieher auch noch am Aluminium des Gehäuses. Weil die Bayern den Ball nicht hinten rausbekamen, drosch Kapitän Christian Günter aus dem Rückraum perfekt und unhaltbar ins Eck. 

Im Anschluss hätte sich die Elf von Tuchel nicht über ein zweites oder gar drittes Gegentor vor der Pause beklagen dürfen. „Wir haben komplett ohne Struktur gespielt, viel zu undiszipliniert und waren überhaupt nicht in unseren Positionen“, analysierte der Trainer die erste halbe Stunde im Anschluss bei Dazn treffend.

Dazn-Experte Jonas Hummels kritisierte den Trainer für die schwache Anfangsphase. „Warum kann das immer wieder passieren?“, fragte er. „Warum in einem Auswärtsspiel in Freiburg, die aus einer Phase kommen, wo sie wenig Erfolg haben. Warum können sie in so einem Spiel nicht die Struktur selber vorgeben? Warum muss man warten bis zur Halbzeit um eine Dreierkette aufzubilden. Das verstehe ich nicht.“

Tuchel selbst zerlegte seine „kopflose“ Mannschaft, sprach von „Harakiri“-Fußball und zeigte sich rat- wie fassungslos über den Auftritt: „Ich glaube, wir hatten teilweise Phasen, in denen unser Innenverteidiger den Außenverteidiger hinterlaufen hat. Wir haben Dinge gemacht, die wir noch nie trainiert haben, über die wir noch nie gesprochen haben.“

Tuchel demaskiert sich mit “Glückstor”-Spruch

Eine richtige Analyse. Und dennoch sagte er letztlich: „Dass wir nicht gewinnen, liegt einzig und allein an einem Glückstor durch eine Standardsituation“. Hier demaskiert sich Tuchel selbst. 

Zwar ist der späte Ausgleich durch Lucas Höler (87.) wie jeder Treffer an diesem Abend ein wunderbares Traumtor. Aber wie schon beim 0:1 entsteht die Chance aus einem schlampig verteidigten Einwurf. Das darf dem FC Bayern in so einer Situation nicht passieren.

Die Aussage verkennt zudem die Wahrnehmung für das eigene Offensivspiel. Die zwei eingangs beschriebenen Tore resultierten aus zwei Einzelaktionen (35. und 75.). Zu häufig täuschen grandiose Individual-Momente von Musiala, Tel, Harry Kane oder Leroy Sané in dieser Saison über die fehlende Spielidee hinweg. Heldenfußball in Reinform. Diesmal reicht nicht mal dies.

FC Bayern: Selbstverschuldetes Chaos kostet Remis in Freiburg

Das muss sich vor allem Tuchel ankreiden lassen. Zur zweiten Halbzeit installierte der Trainer eine Dreier- statt Viererkette. Das Konzept ging auf. Im letzten Spieldrittel baute er die Abwehr aber mehrmals um und nahm ihr so die zwischenzeitlich gewonnene Stabilität.

Nach knapp über einer Stunde Spielzeit tauschte er gleich beide Außenverteidiger aus und brachte Konrad Laimer und Alphonso Davies für Joshua Kimmich und Raphael Guerreiro (64.). Später nahm er mit Musiala sämtliche Offensivambitionen für die Schlussphase runter und wechselte in Dayot Upamecano einen zusätzlichen Innenverteidiger ein (83.). Leon Goretzka, der für die Dreierkette zurückgezogen wurde, ging dafür wieder eins vor. Dieses selbstverursachte Chaos zeigte sich dann in der fehlenden Abstimmung beim verhängnisvollen Einwurf. 

Zugegeben: Tuchel hat es durch die diversen Verletztenausfälle (Noussair Mazraoui, Sacha Boey, Bouna Sarr) und Sperren (diesmal fehlte Matthijs de Ligt) nicht leicht. Er verkompliziert die Sache aber zusätzlich.

Hummels kritisiert Tuchel scharf

„Wenn ich ganz, ganz böse wäre, würde ich sagen, er wirkt ein bisschen planlos“, sagte Hummels nach dem Spiel. Schon während der Partie monierte er die fehlende Körpersprache des Coaches. „Seit bekannt ist, dass er aufhört, wirkt er trotzig an der Seitenlinie. Er hat sich auch beim Tor als Einziger vom Trainerstab nicht gefreut. Alle sind aufgesprungen, er blieb sitzen – das war letzte Woche genauso. Als Spieler merkt man das.“

Es sei „auf jeden Fall die richtige Entscheidung“ gewesen, sich zum Ende der Saison von Tuchel zu trennen, empfand Hummels. Nach diesem fragwürdigen Auftritt schob er aber folgenden Einwand hinterher: „Die einzige Frage ist, was man jetzt bis zum Ende der Saison macht.“

Der Bundesliga-Titel scheint außer Reichweite. Wenn der FC Bayern am Dienstag gegen Lazio Rom (Hinspiel 0:1) aus der Champions League fliegt, gibt es für Tuchel in München nichts mehr zu gewinnen. 





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